Der günstige Erhaltungszustand
oder
Ist die FFH-Richtlinie dem Wolf gewachsen?
Mit der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL)
haben sich die Mitgliedsländer der EU 1992 zu hohen Zielen verpflichtet, was den Schutz unserer Natur angeht. Ziele, die so hoch waren und sind, dass es erst viele Jahre gebraucht hat, bis der Umsetzungsprozess begonnen hatte. Auch in Deutschland, das allgemein als Musterland gilt. Nach wie vor arbeiten die zuständigen Behörden an der Umsetzung, für sehr viele Schutzgebiete liegen nach wie vor noch keine Managementpläne vor. Unabhängig davon setzen die Mitgliedsländer die Richtlinie ohnehin in höchst unterschiedlicher Weise um.
Schon in der Richtlinie selbst sind nicht alle Arten gleich, einige waren und sind etwas gleicher, indem sie zu „prioritären Arten“ erklärt wurden. Bei vielen Arten mit lokal begrenztem Vorkommen und zusätzlich gefährdeten Lebensräumen ein berechtigtes und lobenswertes Ziel, um für diese Arten in ihrem Verbreitungsgebiet den „günstigen Erhaltungszustand“ zu erreichen. Das könnte vergleichsweise einfach sein, wenn es um ein tatsächlich vorhandenes und aufgrund des Lebensraumes umgrenztes Vorkommen geht. Dazu ist zu bemerken, dass seitens der EU Regeln aufgestellt wurden, nach denen ein Vorkommen oder eine Population nicht in der Gesamtheit zu bewerten ist, sondern dieses immer in politischen Einheiten und den unterschiedlichen biogeografischen Regionen getrennt zu erfolgen hat.
Diese Karten (Quellen BfN, DBBW) verdeutlichen, dass sich der Wolf in Deutschland sowohl in der kontinentalen als auch in der atlantischen Region angesiedelt hat. In diesen Gebieten wäre sein Erhaltungszustand jeweils separat zu bewerten. Wie dies in Bundesländern wie Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und zukünftig auch Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein vonstattengehen soll, bleibt dahingestellt. Wie der Erhaltungszustand des Wolfes einmal in der alpinen Region Deutschlands ohne Bewertung der Nachbarregionen oder gar -länder einmal bewertet werden könnte, erschließt sich dem Betrachter dieser Karte nicht.
Das Bundesamt für Naturschutz schreibt dazu in diesem Dokument (gekürzt):
Als günstig wird der Erhaltungszustand einer Art angesehen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- das natürliche Verbreitungsgebiet nimmt weder ab noch besteht eine Differenz zu der Größe eines günstigen Referenzgebietes (Lebensraumtypen und Arten);
- die aktuelle Population nimmt weder ab noch besteht eine Differenz zu der Größe einer günstigen Referenzpopulation (nur Arten);
- der Lebensraum der Art ist ausreichend groß und geeignet, das langfristige Überleben der Populationen der Arten zu sichern (nur Arten);
- das aktuelle Verbreitungsgebiet, die Population der Arten bzw. die Fläche der Lebensraumtypen, die Habitate der Arten sowie die spezifischen Strukturen und Funktionen der Lebensraumtypen werden auch für die Zukunft günstig beurteilt.
Nach diesen Definitionen wird der Wolf den „günstigen Erhaltungszustand“ in Deutschland nie erreichen. Egal welche Zahlen hierzu bereits für die nähere Zukunft aufgerufen werden, weigern sich Vertreter des Bundesumweltministeriums (BMUB) standhaft, sich zum Erreichen dieses Ziels, welches ja ihre Aufgabe wäre, verbindlich zu äußern. Dies zuletzt im Bundestag am 15.02.2017, die dazu befragte Staatssekretärin war ratlos.
Verzichtet man auf die politische und biogeografische Fragmentierung des Wolfsvorkommens in Deutschland und Polen, darf man an diese 4 Punkte einen Haken machen, sofern man nicht von der Forderung ausgeht, dass jeder Landstrich Europas, der seit der letzten Eiszeit von einem Wolf betreten wurde, auch heute wieder von ihm besiedelt werden muss. Dabei ist zu beachten, dass der Wolf heute eine intensiv genutzte Kulturlandschaft besiedelt, die es so zu Zeiten seiner Verdrängung aus Deutschland nicht gegeben hat. Der Begriff der Rückkehr darf in diesem Zusammenhang als irreführend bezeichnet werden.
Einer der führenden Wissenschaftler in Sachen Wolf in Europa, Professor Dr. Luigi Boitani, hat zum günstigen Erhaltungszustand 2015 in Bezug auf den Wolf einen klaren Satz geprägt:
Die Large Carnivore Initiative Europe (LCIE), Prof. Boitani ist einer ihrer Mitbegründer, hat an diesem Punkt bereits 2008 Einhalt geboten und dringend empfohlen, so großräumig lebende Arten wie Bär, Luchs und Wolf IMMER auf Populationsebene in ihrem Erhaltungszustand zu bewerten. Dies bitte ungeachtet biogeografischer oder politischer Grenzen. Eine Methode, die jetzt seit fast 10 Jahren bekannt ist (LINK). Sie wird nach eigenem Bekunden im BMUB für „fachlich wünschenswert“ gehalten, aber man ist nicht dazu bereit, sie anzuwenden oder in Brüssel zu vertreten (LINK).
Betrachtet man diese Arten auf Populationsebene, so sind dafür die Schwellenwerte der Roten Liste der IUCN heranzuziehen, welche bereits vielfach in deutschen Managementplänen für den Wolf nachzulesen sind. Je nach Sichtweise werden sie jedoch unterschiedlich interpretiert. Dabei bedarf es mit Stand 2017 schon einer sehr dogmatischen Denkweise, wenn man die Wölfe zwischen Weichsel und Weser heute noch als eine „isolierte Population“ bezeichnen möchte. Ihre Verbindung zu den Wölfen Nordosteuropas darf heute als gegeben angesehen werden. Will man sie dennoch als (Sub-)Population betrachten, bedürfte es einer Anzahl von 250 adulten Tieren, um von einer günstigen Referenzpopulation (favourable reference population) ausgehen zu können.
Nach den Monitoring-Ergebnissen aus 2015/16 aus Deutschland mit 46 Rudeln und 15 Paaren sowie denen aus Polen mit 43 Rudeln und 10 Paaren waren es im April 2016 bereits 228 nachgewiesene Individuen ohne Einzeltiere. Dem konstanten Vermehrungstrend von 34 % p.a. folgend werden es in diesem Jahr über 300 Tiere sein. Sicher ist mit dieser Zahl die biologische Tragfähigkeit dieses Lebensraumes noch nicht erreicht. Dafür ist aber dringend zu hinterfragen, wie es mit der gesellschaftlichen Tragfähigkeit in den Gebieten aussieht, die mit dem Wolf leben müssen und dort Bestandsdichten erleben, die es in keiner anderen Kulturlandschaft dieser Welt gibt.
Wer heute noch erklären möchte, der Wolf reguliere sich zukünftig selbst, mache sich bitte deutlich, dass dies erst dann geschieht, wenn Raum und Nahrungsangebot einschließlich für ihn erreichbarer Nutztiere nicht mehr ausreichen. Diese Selbstregulierung kann dann nur über Krankheiten und Revierkämpfe erfolgen. Die Anfänge dazu haben sich bereits in diesem Winter gezeigt. Bilder von Wölfen mit Räude oder von Artgenossen zerfleischter Kadaver werden dann zum Leitbild falsch verstandenen Naturschutzes. Wer immer wieder die FFH-Richtlinie ob ihrer restriktiven Vorschriften aufruft, dem sei dazu der Artikel 16 dieses Gesetzeswerkes besonders ans Herz gelegt.
Es wird Zeit umzudenken!